Durch das Inkrafttreten des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes (VbVG) wurde in Österreich am 1.1.2006 erstmals die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen eingeführt. Verbände bzw. Unternehmen – insbesondere juristische Personen und eingetragene Personengesellschaften – können demnach für Straftaten ihrer Entscheidungsträger und Mitarbeiter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden – unter Voraussetzungen, die im Folgenden einführend erörtert werden. Als Sanktion drohen je nach Straftat und finanzieller Leistungsfähigkeit Geldbußen von bis 1,8 Millionen Euro.
Bei Entscheidungsträgern handelt es sich um Personen mit Positionen in der Leitungsebene eines Unternehmens. Das VbVG knüpft an die Befugnis zur Vertretung nach außen, an die Kontrollbefugnis und an den sonstigen maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung an. Als Mitarbeiter gelten Personen der mittleren und unteren Ebene des Verbandes – insbesondere Arbeitnehmer und Personen in arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisse sowie überlassene Arbeitskräfte. (Zur Definition siehe § 2).
Die Kernbestimmung des VbVG findet sich in § 3, welcher die Voraussetzungen für die Verbandsverantwortlichkeit – dh für die Zurechnung der Taten von Entscheidungsträgern und Mitarbeitern zum Verband – normiert.
Danach sind Verbände nicht nur für das Handeln und Unterlassen ihrer Entscheidungsträger verantwortlich, sondern bei einem Außerachtlassen der gebotenen und zumutbaren Maßnahmen auf Ebene der Entscheidungsträger auch für Straftaten untergeordneter Mitarbeiter.
Die Verbandsverantwortlichkeit erfasst sowohl Taten, die zu Gunsten des Verbandes begangen worden sind, als auch Taten, durch welche den Verband treffende Pflichten verletzt worden sind. Um eine Straftat als „zu Gunsten“ des Verbandes zu qualifizieren, genügt bereits die Absicht, den Verband zu bereichern oder Aufwendungen zu ersparen. Die Pflichten des Verbandes sind vor allem vom Tätigkeitsbereich des Verbandes abhängig und ergeben sich aus Gesetzen, Verordnungen, behördlichen Auflagen, geschäftlichen Vereinbarungen etc.
Die Verbandsverantwortlichkeit für die Tatbegehung durch Mitarbeiter entsteht nur dann, wenn die Tatbegehung dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert worden ist, dass ein Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat.
Welche Maßnahmen bzw Vorkehrung geboten und zumutbar sind, ist konkret anhand des jeweiligen Falles zu prüfen. Entscheidende Faktoren bei der Prüfung sind unter anderem die Art, Größe, Struktur und Branchenzugehörigkeit des Verbandes, die Gefährlichkeit des Tätigkeitsbereichs sowie die Ausbildung und Verlässlichkeit der Mitarbeiter.
Hervorzuheben ist das eigenständige Konzept der Verantwortlichkeit in Bezug auf Fahrlässigkeitsdelikte von Mitarbeitern: Der Verzicht auf das Erfordernis einer subjektiven Sorgfaltswidrigkeit sowie auf die Identifizierung einer konkret verantwortlichen Person und die Etablierung einer Verantwortlichkeit für Teilhandlungen, die erst im Zusammenhang mit anderen Handlungen eine Sorgfaltswidrigkeit ergeben.
Die Bedeutung der Verankerung der Verantwortlichkeit von Verbänden im Kriminalstrafrecht erkennt man nicht zuletzt an der subsidiären Geltung der allgemeinen Strafgesetze und des Strafverfahrensrechts: Die subsidiäre Anwendbarkeit der StPO bedeutet im Kampf gegen Unternehmenskriminalität vor allem auch die Möglichkeit von Haus- und Personendurchsuchung, Beschlagnahme, Überwachung des Fernmeldeverkehrs, optische und akustische Überwachung von Personen unter Verwendung technischer Mittel und automationsunterstützter Datenabgleich. Die subsidiäre Anwendbarkeit der allgemeinen Strafgesetze in Verbindung mit dem Verzicht auf einen Deliktskatalog bedeutet, dass Unternehmen grundsätzlich für sämtliche Tatbestände im StGB und im Nebenstrafrecht verantwortlich gemacht werden können. Gerade im Zusammenhang mit Unternehmensaktivitäten in Entwicklungsländern und in Konfliktregionen sind Beteiligungen an Straftaten möglich, die mit typischen Wirtschaftsdelikten nichts zu tun haben.
Weitere Informationen ua zum VbVG finden Sie im Buch, Kathollnig, Unternehmensstrafrecht und Menschenrechtsverantwortung, Neuer Wissenschaftlicher Verlag, Wien/Graz 2016.
