Corporate criminal liability – Unternehmensstrafrecht in den USA

Namhafte europäische Unternehmen haben in den vergangenen Jahren unfreiwillig Bekanntschaft mit dem Unternehmensstrafrecht in den USA gemacht und wurden mit hohen Geldstrafen sanktioniert.

Das US-amerikanische Unternehmensstrafrecht hat daher auch für europäische Unternehmen mit Geschäftsaktivitäten in den USA erhebliche Relevanz.

Die USA gelten neben England als Mutterland des Unternehmensstrafrechts. Bereits im 19. Jahrhundert begannen Gerichte die sogenannte „corporate criminal liability“ herauszubilden. Eine Analyse des Unternehmensstrafrechts in den USA ist nicht ohne Hürden: So gibt es etwa nicht ein US-amerikanisches Strafrecht, sondern vielmehr 50 Bundesstaaten mit jeweils eigenen Strafrechtsordnungen und darüber hinaus ein gemeinsames Strafrecht auf Bundesebene. Zudem basiert das US-amerikanische Recht auf einer Common-Law-Tradition und unterscheidet sich bereits in seinen Grundlagen erheblich vom österreichischen Recht. An dieser Stelle folgt daher lediglich eine Darstellung der wesentlichen Grundzüge des Unternehmensstrafrechts im US-amerikanischen Bundesrecht.

Die zentrale Entscheidung im US-amerikanischen Bundesrecht, dem Federal Law, im Hinblick auf die Strafbarkeit von Unternehmen erfolgte im Fall New York Central & Hudson River v. United States aus dem Jahr 1909. Durch diese Entscheidung wurde der Beginn einer „vicarious liability (stellvertretenden Haftung) im Sinne einer absoluten Zurechnung der Straftaten von Mitarbeitern zum Unternehmen begründet. Diese „vicarious liability“ rechnet dem Unternehmen nicht nur das äußere Verhalten der Mitarbeiter zu, sondern auch deren innere Tatseite („mens rea“), ohne besondere zusätzliche Voraussetzung oder Einschränkung. Vor allem sind für die Verantwortlichkeit eine fehlerhafte Willensbildung im Bereich der Führungsebene des Unternehmens oder unzureichende unternehmensinterne Kontrollmechanismen nicht erforderlich.

Für die Zurechnung der Straftat zum Unternehmen ist entscheidend, dass Mitarbeiter bei der Begehung eines Delikts im Rahmen ihrer Beschäftigung gehandelt haben („within the scope of employment“) und in der Absicht dem Unternehmen durch die Tat einen Vorteil zu verschaffen („with an intent to benefit“). Beide Kriterien werden weit ausgelegt: Ein „intent to benefit“ liegt auch dann vor, wenn für den Mitarbeiter die persönliche Bereicherung im Vordergrund steht und der Vorteil für das Unternehmen lediglich sekundär ist. „Within the scope of employment” handeln Mitarbeiter selbst dann, wenn sie außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches oder entgegen ihren ausdrücklichen Instruktionen tätig geworden sind.

Im Fall United States v. Bank of New England formulierte der Supreme Court zudem die „collective knowledge doctrine“: Diese rechnet dem Unternehmen in Bezug auf die innere Tatseite, Kenntnis und Wissen aller ihrer Mitarbeiter derart zu, dass sich ihre Wissensteile in einer für das Unternehmen strafbegründenden Weise aufaddieren.

Als Sanktionen sind auch in den USA vor allem Geldstrafen („fines“) vorgesehen. Seit Einführung der US Federal Sentencing Guidelines im Jahr 1991 haben sich die verhängten Geldstrafen beträchtlich erhöht (das Guidelines Manual 2015 ist hier abrufbar.)

Dabei sind Geldstrafen nicht die einzige Sanktionsmöglichkeit: Unternehmen können von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen oder mit einem Ausübungsverbot für bestimmte Tätigkeiten belegt werden. Möglich sind insbesondere auch die Verhängung von Auflagen (vor allem zur Implementierung von Compliance-Programmen), die Unterstellung unter behördliche Aufsicht oder auch sonstige Maßnahmen wie die Abschöpfung des Bereicherung. In vielen Fällen kommt es in den Verfahren zu Vereinbarungen („agreements“) zwischen Justizbehörden und Unternehmen, in welchen sich Unternehmen zur Zahlung von Geldbußen und regelmäßig auch zu unternehmensinternen Reformen und Compliance-Programmen verpflichten, um einer Anklage oder Verurteilung zu entgehen. Bei den sogenannten „deferred prosecution agreementswird nach Anklageerhebung, die weitere Strafverfolgung gemäß einer zwischen Unternehmen und Staatsanwaltschaft getroffenen Vereinbarung für eine Probezeit aufgeschoben und letztlich fallengelassen, sofern sich das Unternehmen an die getroffene Vereinbarung hält. Bei „non-prosecution agreements wird – unter dem Vorbehalt, dass sich das Unternehmen an die Vereinbarung hält – auf die Anklageerhebung überhaupt verzichtet.

Üblich sind in den USA auch „settlement agreements“, in welchen sich Unternehmen schuldig bekennen und dafür die Strafhöhe mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht absprechen. Im Rahmen solcher „agreements“ wurden in den vergangenen Jahren Geldstrafen in Milliardenhöhe gegen Unternehmen verhängt – insbesondere gegen Banken aufgrund der Verletzung von US-Finanzsanktionen und Geldwäschebestimmungen oder etwa gegen BP wegen fahrlässiger Tötung und anderer Delikte im Zusammenhang mit der Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“. So einigten sich April 2016 BP mit der US Justiz auf die Zahlung von über 20 Milliarden US-Dollar.